Der Mioritic
Der Mioritic (alter Name: Mocano, Barac), dessen Name sich von der rumänischen Volksballade “Mioritca” (mioritca = rumänisch: kleines Schaf) ableitet, unterscheidet sich deutlich vom Carpatin. Er ist von etwas kleinerer Statur und ausgeprägt zotteliger Behaarung, die auch das Gesicht bedeckt und unter dem Kinn einen Bart bildet. Dadurch macht er einen „wuscheligen“ Eindruck und gemahnt an einen leichten Südrussischen Owtscharka. Die Grundfarbe des Fells ist weiß, kann aber auch alle Nuancen von gelblich und bräunlich bis hellgrau aufweisen. Viele Hunde zeigen eine weiße, beige oder hellgraue Grundtönung mit zahlreichen großflächigen braunen und/oder grauen Abzeichen. Die Rüden liegen größenmäßig um die 75 Zentimeter, die Hündinnen um die 70 Zentimeter Risthöhe. Man findet den Mioritic im Gebiet der Bukowina, der Moldau und in der Gegend um Sibiu. Er ist aber auch im Banat, in Maramures und in Constanta anzutreffen, wo er häufig in Dörfern und auf Gehöften als Kettenhund gehalten wird.
Rumänien, dessen Geomorphologie von den Gebirgsregionen der Karpaten dominiert wird, ist ein Land mit alter Hirtenkultur, in dem sich das Hirtentum mit seinen Traditionen und uralten Bräuchen bis heute lebendig erhalten hat. Die großen, oft mehrhundert- bis tausendköpfigen Schaf- und Ziegenherden der rumänischen Gebirgsregionen ziehen im Mai aus der Donautiefebene , wo sie überwintern, hinauf ins Gebirge und im Herbst wieder zurück in die Ebene. Bei dieser sogenannten Transhumanz werden sie seit alters her von kräftigen, starken, wehrhaften Herdenschutzhunden begleitet, deren Aufgabe es ist, die Herden vor Raubtieren (Beutegreifern) und zweibeinigen Räubern zu schützen. Nachdem die Karpaten noch heute eine der größten europäischen Wolfspopulationen beherbergen, die – neben Bären, Luchsen, Wildkatzen und Adlern – eine ständige Bedrohung für Weidetiere darstellen, ist die Sömmerung der Herden auf den bis zu 1200 Meter hoch gelegenen Gebirgsweiden ohne die Hilfe wehrhafter Hunde undenkbar. Rumänische Hirtenhunde gehören deshalb zu den ganz wenigen Rassen Europas, die überwiegend noch immer, wie eh und je seit Jahrhunderten, in ihrem angestammten Betätigungs- und Einsatzfeld arbeiten und ihrer ursprünglichen Aufgabe nicht zweckentfremdet wurden. Begibt man sich in abgelegene Bergregionen Rumäniens, so kann man also auch heute noch mit etwas Glück die urtümlichen Hirtenhunde Rumäniens bei ihrer angestammten Arbeit beobachten.
Große Schutzhunde vom Hirtenhundtyp hat es im Raum zwischen Karpaten und Donau, aber auch in Siebenbürgen, im inneren Karpatenbogen und in der Moldauebene vermutlich schon seit dem mittleren Neolithkum gegeben. Knochenfunde von Hunden aus der Gegend von Vadastra und Boian, die auf die Zeit 3500-2800 v.Chr. datiert werden, zeigen jedenfalls eine ähnliche Schädelform und ein ähnliches Knochengerüst bei etwas geringerer Größe (45 bis 55 cm Risthöhe) wie die heute gebräuchlichen Hirtenhunde. Die Hirtenhunde werden auch in rumänischen Weidepachturkunden aus dem 15-.18. Jahrhundert erwähnt. Durch Beschränkung ihrer Zahl versuchte man damals, Zahl und Größe der Schaf- und Rinderherden zu begrenzen. Wie groß ihr Bestand auch heute noch sein dürfte, beweist eine rund 25 Jahre alte kartographische Erfassung aus dem Jahr 1975, bei der 6500 als Gebrauchshunde arbeitende Exemplare gezählt wurden. Auch wenn nicht alle registrierten Herdenschutzhunde den angestrebten Rassetypen im Detail entsprochen haben dürften, so handelt es sich doch um eine recht große Zahl, so dass man sich um Fortbestand und Erhalt dieser Hunde einstweilen wohl keine Sorgen zu machen braucht.
Erstaunlich ist die relativ große Uniformität aller dieser Hunde, die doch auf einem riesigen Verbreitungsareal verteilt leben, das einen Raum von mehr als 300 000 Quadratkilometern umfasst. Aus den unterschiedlichen regionalen Hirtenhund-Schlägen haben sich im Laufe der Zeit zwei charakteristische Grundtypen herausgebildet, die inzwischen als zwei Rassen betrachtet werden: der Ciobanescul Romanesc Carpatin, kurz Carpatin genannt, und der Ciobanescul Romanesc Mioritic, kurz Mioritic genannt
Bereits in den Jahren 1934 und 1935 veröffentlichte das Nationale Institut für Zoologie Rumäniens die ersten Beschreibungen der beiden Hirtenhundrassen Carpatin und Mioritic. Auf der ersten Rumänischen Nationalen Landeshundeausstellung im Friedenspark in Bukarest erschienen im Jahr 1935 86 einheimische, aus allen Teilen des Landes angereiste, Hirtenhunde. Sechs von ihnen wurden mit Goldmedaillen ausgezeichnet. 1937 organisierte der Verband der Rassehundebesitzer dann erneut eine Hundeausstellung in Timisoara, an der wiederum eine große Zahl von Hirtenhunden teilnahm. 1938 wurde das erste Zuchtbuch für die Rassen Carpatin und Mioritic eröffnet. Wirtschafskrise und Krieg und dann die rote Diktatur verhinderten, dass die Rassen weiter erfasst und ihre Standards endgültig ausgearbeitet wurden. Mehr als 20 Jahre gerieten die Hirtenhunde weitgehend in Vergessenheit. Aber nach Neugründung des Kynologischen Verbandes der SR Rumänien im Jahr 1969 nahm man die alten Aktivitäten wieder auf. Mit Unterstützung des Landwirtschaftsministeriums bemühte man sich, die bodenständigen Hirtenhunde zu erforschen und deren Zucht zu fördern: Eine ausgedehnte Erfassungs- und Katalogisierungsaktion in den gesamten Hügel- und Gebirgsregionen Rumäniens erbrachte eine Bestätigung der großen Einheitlichkeit der Hirtenhunde, die sich, wie in den dreißiger Jahren bereits begonnen, den zwei bekannten Typen zuordnen ließen. Gezielte selektive Zucht brachte eine weitere Vervollkommnung der angestrebten Standardtypen, die von nun an kontinuierlich auf rumänischen Hundeausstellungen in Erscheinung traten. Nachdem der Rumänische Hundeverband Nicolae Ceaucescus Sohn Nicu einen. Mioritic-Welpen zum Geschenk gemacht hatte, erwachte auch offiziell das Interesse an den rumänischen Rassen.
Im Jahr 1981 fand in Radauti, Kreis Suceava, eine große Ausstellung für rumänische Hirtenhunde statt. Anläßlich dieser Veranstaltung wurden die Standards für die beiden Rassen
Carpatin und Mioritic auch offiziell vom rumänischen Ministerium für Landwirtschaft und vom Landeszentrum für Zucht und Auswahl der Tiere anerkannt. Offiziell werden die Hunde als „Ciine de turme romanesc“ bezeichnet, was wörtlich „Rumänischer Herdenhund“ bedeutet. Der Carpatin ist überwiegend der Hund der Gebirgsregionen, der Mioritic hingegen mehr der Herdenschutzhund des rumänischen Tieflandes. Charakteristisch für beide Schläge sind die hellen, bernsteingelben Augen, durch die sie sich von den Herdenschutzhunden der Nachbarländer deutlich unterscheiden.
Eine auf Vereinen und Verbänden basierende Hundezucht wie bei uns in Westeuropa ist in Rumänien unbekannt. Seit Jahrhunderten oblag und obliegt Haltung und Zucht der großen Herdenschutzhunde den Hirten beziehungsweise der Landbevölkerung. Erst in den letzten Jahren haben sich rassemäßige Zuchtbestrebungen, ausgehend von einigen wenigen privaten Züchtern, entwickelt. Diese unterliegen der Zuchtkontrolle des kynologischen Dachverbandes mit Sitz in Timisoara, dem sehr daran gelegenen ist, die einheimischen Hirtenhundrassen zu fördern. Alljährlich im Mai und September werden in den Regionen, wo diese Hunde noch zahlreich vorkommen, Ausstellungen organisiert und die besten Hunde ins Zuchtbuch des rumänischen Kynologenverbandes aufgenommen. Unter anderem bemüht sich auch der Verein „Mondo Cane“ darum, die heimischen Herdenschutzhundrassen zu erhalten. Welchen Stellenwert die Rumänischen Hirtenhunde inzwischen in ihrem Stammland genießen, beweist auch die Tatsache, dass Rumänien eine Briefmarkenserie rumänischer Hirtenhunde herausgebracht hat, die schon in den ersten Tagen nach Erscheinen vergriffen war. Die Rassen sind mittlerweile FCI anerkannt.
|